Schöner Wohnen anno dazumal

Schöner Wohnen anno dazumal

Das ernst-may-haus ist in den 1920er Jahren im Rahmen des Bauprogramms „Neues Frankfurt“ entstanden. Das denkmalgerecht wiederhergestellte Musterwohnhaus befindet sich in der Siedlung Römerstadt im Frankfurter Stadtteil Heddernheim. Zu den Öffnungszeiten können sowohl das Haus als auch der zugehörige Garten besucht werden.

Dichtbesiedelte Stadtviertel, Wohnungsnot, Währungskrise – in den 1920er Jahren hat die Stadt Frankfurt am Main mit diversen Problemen zu kämpfen. Die Situation ist dringlich und macht ein Umdenken erforderlich. Gerade auch in den Bereichen Wohnungsbau und Architektur sind neue Konzepte gefragt. Infolgedessen wird das Wohnungsbauprogramm „Neues Frankfurt“ ins Leben gerufen. Maßgeblich verantwortlich für dieses zukunftsweisende Bauprojekt war der Stadtplaner und Architekt Ernst May. Als Stadtbaurat der Stadt Frankfurt am Main entwickelte er innovative Bau- und Wohnkonzepte.


Wer war Ernst May?

Von 1925 bis 1930 war Ernst May als Siedlungsdezernent der Stadt Frankfurt verantwortlich für die Planung und Realisierung des Wohnbauprogramms „Neues Frankfurt“. Anliegen des neuen Siedlungsprojekts war die Versorgung der Bevölkerung mit komfortablen, zweckmäßig ausgestatteten Wohnungen zu erschwinglichen Preisen. Ernst May gilt als Initiator und Architekt des sogenannten „Neuen Frankfurt“.

Ernst May – eine Epoche des Städtebaus

Die grundsätzliche Idee des neuen Stadtgestaltungsprogramms war der Bau von Wohnsiedlungen, die Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten bieten sollten. Die neuen Wohnungen sollten günstig und zweckmäßig sein. Vielfach waren die neuen Wohnkomplexe mit einem angrenzenden Garten ausgestattet.

Quadratisch, praktisch, günstig

Platzsparende Konzepte, die Standardisierung und Normung von Bauteilen wie Fenster, Betonelemente und andere Gebrauchsgegenstände („Frankfurter Norm“) waren Teil des neuen Bauprogramms. Auch der Einsatz lokaler Firmen und die Beschäftigung von Arbeitslosen sollten die Kosten senken. Die Stadtentwicklung konzentrierte sich fortan zunehmend auf den Siedlungsbau. In der Zeit von 1925 bis 1930 sind zahlreiche Wohnsiedlungen in den Frankfurter Stadtteilen entstanden.

Links zum Thema:
das neue frankfurt – fotografische sammlung von matthias matzak
Forum Neues Frankfurt
Sonderheft „may not be ernst“ (PDF 3,3 MB)

Die Wohnsiedlungen des „Neuen Frankfurt“

Der Wohnungs- und Siedlungsbau prägte die Zeit des „Neuen Frankfurt“. Entlang des Niddatals sind die Siedlungen Römerstadt, Praunheim, Westhausen sowie die Siedlung Höhenblick am Ginnheimer Hang entstanden. Weitere sogenannte „May-Siedlungen“ sind die Hellerhofsiedlung im Gallus, die seit 1975 unter Denkmalschutz steht und die Siedlung Bruchfeldstraße in Niederrad – wegen der gezackten Fassadenstruktur im Volksmund auch Zick-Zackhausen genannt. In Frankfurt-Sachsenhausen befindet sich die Heimatsiedlung – offiziell Siedlung Riedhof-West. Weitere Beispiele: Siedlung Bornheimer Hang, Siedlung Raimundstraße und die Riederwaldsiedlung.

Auch eine Vielzahl von Einzelgebäuden und Gebäudegruppen sind Zeugnisse der Epoche des „Neuen Frankfurt“. Durch den Siedlungsbau hat sich der Wohnungsbestand in Frankfurt innerhalb von 5 Jahren um 12.000 Wohnungen erhöht.

Links zum Thema:
ernst-may-gesellschaft.de/wohnsiedlungen
„Das Neue Frankfurt“ – georeferenzierte Wiedergabe der Kartenbeilage: „Das Neue Frankfurt“, Jahrgang IV, Heft 2345; Frankfurt, städt. Siedlungsamt, Abt.Stadtvermessung 1930

ernst-may-haus

Im Rahmen des Bauprogramms „Neues Frankfurt“ ist auch das ernst-may-haus in der Siedlung Römerstadt entstanden. Das zweistöckige Reihenhaus wurde in der Zeit von 1927-28 erbaut und dient heute als Musterbeispiel für das Wohnen in der Zeit des Siedlungsbaus. Besonders bemerkenswert ist die denkmalgerechte Wiederherstellung des Hauses sowie die weitgehend originalgetreue Einrichtung inklusive „Frankfurter Küche“.

Reihenhaus-Idylle im „Neuen Frankfurt“

Die meisten Wohnstätten aus der Ära des „Neuen Frankfurt“ waren als Reihenhäuser mit eigenem Garten angelegt. Ein Domizil nach dem Konzept von Ernst May war für die damalige Kleinfamilie vorgesehen. Standardmäßig bestand ein solches Wohnhaus aus fünf Zimmern, einem Garten und war voll unterkellert. Auch die Aufteilung der Räumlichkeiten folgte gewissen Vorgaben. Ein Esszimmer, ein kleiner Wohnraum und die berühmte „Frankfurter Küche“ teilten sich das Erdgeschoss. Das Obergeschoss beherbergte das Elternschlafzimmer mit direkter Verbindung zum Bad mit Tageslicht, ein angrenzendes Kinderzimmer und eine Schlafkammer. Die Räume waren untereinander mit Türen verbunden. Terrasse und Garten erreichte man sowohl vom Esszimmer als auch vom Keller. Die Einrichtung und Möblierung war ohne Schnörkel, sachlich und den Raumverhältnissen angepasst.

Ernst May (1886 – 1970) konzipierte das Haus als ein in jeder Beziehung komfortables, voll unterkellertes Wohnhaus mit fünf Zimmern und einem Garten für die damalige Kleinfamilie.

ernst-may-gesellschaft – Musterhaus

Rund um das Thema „Ernst May und das Neue Frankfurt“ bietet das mayhaus ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm an. Es gibt regelmäßige Sonderausstellungen, beispielsweise „Die Exponate des Monats“, die sich in der Regel einem Einrichtungsgegenstand des mayhauses widmen.

Das Musterhaus mit seinem Garten kann zu den Öffnungszeiten besucht werden. Videomaterial und Infotafeln veranschaulichen das Leben in der damaligen Zeit. Kostenpflichtige Gruppenführungen sind auf Anfrage möglich. Unter dem Motto „Ernst May macht Schule“ bietet die ernst-may-gesellschaft zudem Unterrichtsbesuche, Führungen sowie eine spezielle Rallye für Schulklassen an.

mayhaus
Im Burgfeld 136
60439 Frankfurt
> Anfahrt
Öffnungszeiten:
Di bis Do: 11 – 16 Uhr
Sa und So: 12 – 17 Uhr
Feiertags teils geschlossen
Eintrittspreise:
5,00 € pro Person
3,00 € Schüler*innen, Studierende, Auszubildende

Die Frankfurter Küche – Arbeitsoptimierung in schickem Design

Funktional, modern und ästhetisch – so sollte die Küche des „Neuen Frankfurt“ aussehen. Die „Frankfurter Küche“ gilt als der erste Prototyp der heutigen Einbauküche. Der Entwurf dazu stammt von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky.

Angelehnt an die funktionelle Bauweise in der Architektur spiegelt sich die Grundidee auch hier wieder: die Einrichtung der neuen Küche sollte praktisch, modern und platzsparend sein. Bei der Planung wurde insbesondere die Optimierung von Arbeitsabläufen berücksichtigt – Küchengerätschaften sollten schnell erreichbar sein, Arbeitsgänge sollten verkürzt werden. Aufbewahrungsschütten aus Aluminium, Glas-Schiebetüren und Metallgriffe an den Schränken waren standardmäßig in allen Frankfurter Küchen vorzufinden. Der Stauraum wurde bereits beim Bau der Wohnungen in die Wände integriert.

Geräumige Küche auf minimalem Raum

Die Mindestmaße der Standardküche betrugen sechseinhalb Quadratmeter – 1,87 Meter breit und 3,44 Meter lang. Durch die zweckmäßige Einteilung der Arbeitsbereiche konnten die meisten Arbeitsabläufe optimiert werden. Es gab funktionale Arbeitsplatten mit praktischen Aussparungen für den Müll und Möglichkeiten zur Befestigung von Küchengeräten. Pflegeleichte Arbeitsflächen mit Linoleumbeschichtung ermöglichten ein hygienisches Arbeiten. Oberflächen konnten einfach feucht abgewischt werden. Auch die Metallspüle mit Doppelbecken und Abtropfbereich hielt Einzug in die moderne Küche.

Anstelle der damals üblichen Einzelmöbel in den Küchen gab es einheitliche Maßanfertigungen. Die „Frankfurter Küche“ war als Modulsystem konzipiert, das in großer Auflage in Fabriken hergestellt werden konnte und anschließend nur noch eingebaut werden musste. Dank der neuen Normung und Standardisierung der Elemente konnte die Küche industriell gefertigt werden. Nicht zuletzt durch diese Serienproduktion konnten die Kosten deutlich minimiert werden.

Mit zunehmender Elektrifizierung erfolgte auch das Aufkommen der ersten Elektroherde in den Küchen. Warmwasser aus dem Boiler und die Nutzung kleinerer Elektrogeräte wie Wasserkocher ermöglichten den Bewohner*innen zusätzlichen Komfort.

Links zum Thema:
ernst-may-gesellschaft.de/mayhaus/frankfurter-kueche
frankfurter küche – ernst-may-haus (PDF 875 KB)
„Frankfurter Küche“ – Mutter aller Küchen
Ziehen, Schieben, Klappen – Die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky

Kleingarten Parzelle 16 – die grüne Außenstelle

Unter des Leitung von Ernst May ist in der Siedlung Römerstadt auch eine Kleingartenanlage für die Mieter der Wohnblöcke entstanden. Ende der 1920er Jahre wurde die Anlage im Zuge des Siedlungsbaus angelegt. Die Kleingärten sollten vor allem der Selbstversorgung mit Obst und Gemüse dienen.

Im Juli 2014 pachtete die ernst-may-gesellschaft dort eine Musterparzelle. Anhand des denkmalgerecht rekonstruierten Gartens soll verdeutlicht werden, wie sich die Reformer*innen der 1920er Jahre das zeitgemäße Gärtnern vorstellten. Mit viel Liebe und ehrenamtlichen Engagement wird der Garten seither von der ernst-may-gesellschaft gepflegt. Sogar die Auswahl der Gemüsesorten erfolgt nach historischen Gesichtspunkten und es werden dementsprechend vorrangig alte Sorten angepflanzt. Besonders bemerkenswert ist die Gartenlaube, die noch fast original erhalten ist. Der Entwurf für die Laube stammt von Margarete Schütte-Lihotzky, der Erfinderin der „Frankfurter Küche“.

Die Parzelle 16 ist die grüne Außenstelle der ernst-may-gesellschaft. Sie ist ca. 270 qm groß und soll als Musterbeispiel für einen Selbstversorgergarten aus der Zeit des „Neuen Frankfurt“ dienen.

Kleingartenparzelle 16 – Die grüne Außenstelle

Der Garten kann zu den Öffnungszeiten besucht werden, außerdem bietet die ernst-may-gesellschaft regelmäßig Führungen durch die Parzelle an. Die Selbstversorgung mit Obst und Gemüse, historische Konzepte sowie der Umgang mit begrenzten Ressourcen werden hierbei thematisiert.

Mustergarten
Kleingartenanlage Römerstadt II, Parzelle 16
Heddernheim
60439 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten:
Von Mai bis September jeden 1. und 3. Samstag im Monat bei trockenem Wetter: 11 – 13 Uhr
> Anfahrt

ernst-may-gesellschaft

Die ernst-may-gesellschaft wurde 2003 von Architekten und Kunsthistorikern gegründet mit dem Ziel, Baukunst, Kunst und Kultur zu fördern. Der besondere Fokus liegt hierbei auf der Einrichtung eines Musterhauses mit Ausstellungen und Führungen. Zudem soll das Werk des Stadtplaners und Architekten Ernst May einem interessierten Publikum zugänglich gemacht werden. Die Ernst-May-Gesellschaft wird weitgehend von ehrenamtlich arbeitenden Mitgliedern getragen.

Kontakt:
ernst-may-gesellschaft e.V.
Hadrianstraße 5
60439 Frankfurt, Anfahrt
Telefon: 069 15343883
E-Mail: post@ernst-may-gesellschaft.de

Text und Fotos: Karola Neder
Juli 2023

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