Frankfurts Neue Altstadt hat viele Glanzstücke. Das wohl prächtigste ist das Haus Goldene Waage. Anfang des 17. Jahrhunderts vom Handelsmann Abraham van Hameln geplant und erbaut, gehört das Gebäude seit seiner Wiedererrichtung zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Neuen Altstadt. Mit der aufwändigen Renaissancefassade des Fachwerkhauses stellte van Hameln den Bürgerstolz eines Neu-Frankfurters zur Schau, der sich allen Widerständen zum Trotz als Frankfurter Kaufmann zu behaupten wusste.
Der Zuckerbäcker, Gewürz- und Textilfarbenhändler Abraham van Hameln stammte aus den historischen spanischen Niederlanden, der Region Wallonien im heutigen Belgien. Wie zuvor sein Vater und Bruder kam auch er als Glaubensflüchtling nach Frankfurt. Nach seiner von den Zünften zunächst boykottierten Einbürgerung in die Freie Reichsstadt Frankfurt konnte er den Gebäudekomplex im Jahr 1605 kaufen und nach seinen Vorstellungen umgestalten. Vor allem ersetzte er das alte Vorderhaus durch einen prachtvollen Neubau. Das Haus zur Goldenen Waage gilt als das schönste Haus in der Neuen Altstadt. Es liegt direkt vor dem Hauptportal des Doms und ist ein echter Augenschmaus. Im Kern war es eines der zahllosen mittelalterlichen Fachwerkhäuser, die beim Luftangriff am 22. März 1944 unwiederbringlich zerstört wurden.
Das gesamte Bauvorhaben stieß sowohl im Stadtrat als auch bei den alteingesessenen Frankfurter Kaufmanns- und Patrizierfamilien auf heftigen Widerstand. Denn in Frankfurt war das öffentliche Herzeigen des eigenen Reichtums gänzlich verpönt, besonders von einem Zuwanderer. Hamel schreckte dies aber nicht ab, seine Interessen nötigenfalls auf dem Klageweg durchzusetzen. Der Dauerstreit um den Bau der Goldenen Waage wurde so in den städtischen Archiven akribisch dokumentiert.
Zwar versprach Hamel, alle Bauvorschriften einzuhalten, schaffte es aber dennoch, die eigentlich unerlaubten Überhänge bauen zu lassen. Van Hameln war im Grunde ein frühneuzeitlicher Bodenspekulant, der für seinen geplanten vierstöckigen Neubau (ein Erdgeschoss mit drei Obergeschossen) mit den hohen Grundstückspreisen in dieser zentralen Lage argumentierte: Um den Raum optimal nutzen zu können, müsse er baulich in die Höhe gehen. Van Hameln verlor den Prozess und durfte nur dreistöckig bauen. Für die termingerechten Bauarbeiten und die Einhaltung des Bauplans, damit das Haus zur Herbstmesse 1618 eingeweiht werden konnte, zahlte er gerne eine hohe Geldbuße, denn die Lage rund um den Markt galt als Haupteinkaufsstraße und ist mit der heutigen Zeil vergleichbar. Wegen weiterer Bauverzögerungen und Rechtsstreite, die die detaillierte Renaissancefassade und die schmiedeeisernen Zierelemente betrafen, wurde das Gebäude erst 1619 fertiggestellt. Abraham van Hameln lebte danach nur vier Jahre in seinem Zuckerbäckerhaus. Er verstarb 1623.
Der wechselhaften jahrhundertelangen Geschichte zum Trotz überdauerte das Gebäude bis zu den alliierten Bombenangriffen 1944. Eigentlich hätten die Überreste des Hauses einen Wiederaufbau erlaubt, wurden aber 1950 beseitigt. Nur die Arkaden blieben in Privatbesitz erhalten. Bis zum Bau der U-Bahn-Station Dom/Römer lag das Grundstück brach. Die spätere Rekonstruktion zentraler Teile der ehemaligen Altstadt beinhaltete dann auch die Wiedererrichtung der Goldenen Waage. In den 2014 begonnenen Neubau integrierte man den archäologischen Garten. 2017 wurden die Fachwerkfassade und Teile des Gebäudeinneren fertiggestellt. 2019 wurde das Innere rekonstruiert und ist seitdem im Rahmen von Führungen zugänglich. In bester Zuckerbäckertradition befindet sich im Erdgeschoss ein Café.
Das durch Brandbomben vernichtete Gebäude ist dank des im Jahr 2004 gestarteten Dom-Römer-Projektes als eines von 35 zerstörten Häusern wiederauferstanden. Wie das einstige Frankfurter Zuckerbäckerhaus der Renaissance aus dem Nichts heraus das Vorzeigeobjekt der Neuen Altstadt wurde, dürfte baugeschichtlich Interessierte ebenso faszinieren wie der ursprüngliche Hausbau unter van Hamel. Für die Zimmerleute und Techniker dürfte es ein packender Thriller gewesen sein, in der engen Altstadt den Holzaufbau mit einem Spezialkran auf dem Betonrohbau zu befestigen.
Das opulent geschnitzte Fachwerk der Goldenen Waage konnte mithilfe erhaltener Baupläne, Fotos, Postkarten und Zeichnungen rekonstruiert werden. Dazu suchte man in ganz Deutschland nach 300 bis 400 Jahre altem Eichenholz, das den besonderen Anforderungen der historischen Authentizität entsprach.
Die Holzarbeiten wurden von der Spezialfirma für Altbau Kramp & Kramp aus Lemgo-Lieme durchgeführt. Restauratoren, Tischler, Zimmerer und Techniker stellten die Holzgeschosse in einer speziellen Werkshalle im Industriegebiet Lieme her. In einem Probelauf bauten sie die Holzkonstruktion vor Ort auf und zerlegten sie hinterher für den Transport in Einzelteile. Anschließend brachten sie die Fachwerkteile nach Frankfurt, wo sie an ihrem angestammten Platz zusammengesetzt wurden. Die nach historischem Vorbild geschaffenen Schnitzarbeiten der Balken, des Giebels und der Fassade gestaltete der Holzbildhauer Wolfgang Koch.
Abschließend war das Richtfest im Oktober 2016 für alle Beteiligten ein ergreifendes Ereignis. Besonders für die Menschen der Nachkriegsgeneration dürften mit der Neuen Altstadt viele Kindheitserinnerungen wieder lebendig werden. Vielen Frankfurter*innen scheint gerade das spektakulär rekonstruierte Zuckerbäckerhaus ein Symbol dafür zu sein, dass Frankfurt in der leeren Mitte seine Identität wiedergefunden hat.
Der Zuckerbäcker Abraham van Hameln und die Goldene Waage
Zu besonderen Anlässen, wie dem Museumsuferfest oder dem Altstadtfest am Tag der Deutschen Einheit, veranstaltet die KULTUROTHEK Frankfurt ihre beliebte Kostümführung, in der Abraham van Hamen für eine Stunde zum Leben erweckt wird. Während eines organisierten Spaziergangs erzählt er von seinem Hausbau, über sein Leben als Zuckerbäcker, Gewürzhändler und zugewanderter Frankfurter Bürger. Mit diesem Gang durch die Altstadt erhalten Interessierte einen Blick auf das Frankfurt des frühen 17. Jahrhunderts. Danach gibt es noch etwas Süßes zum Naschen.
In der Regel dauert die Kostümführung eine Stunde und findet tagsüber statt. Treffpunkt ist der Stoltzebrunnen am Hühnermarkt. Der Teilnehmerbeitrag versteht sich inklusive Süßigkeiten. Termine und Barrierefreiheit erfragt man direkt bei KULTUROTHEK Frankfurtladen. Dort kann man die Buchung direkt vornehmen, ansonsten erfolgt diese online. Zu Beginn der Veranstaltung nennt man dem Referenten vor Ort einfach den eigenen Namen und die Bestellnummer.
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Text: rek
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